Ernährung der Wildkaninchen

Allgemeines Ernährung


Kaninchen zählen zu den so genannten Herbivoren (Pflanzenfressern), genauer zu den Folivoren (Blattfressern) (Schlolaut 2003). Das Kaninchen ist ein Kulturfolger (Hemerophile). Es erlangt Vorteile daraus, dem Menschen in seine Kulturlandschaft zu folgen.

Die Bevorzugung von verschiedenen Pflanzenarten hängt stark von Angebot und Bedarf ab. Nach Rogers (1994) bevorzugen Kaninchen Gräser und dikotyle Pflanzen als Hauptnahrung. Turcek (1959) zufolge machen Kräuter den Hauptteil der Nahrung aus, wobei bei reichhaltigem Angebot Löwenzahn, junge Getreidesaaten, Kleearten, Petersilie, Luzerne, Lupine, Nelke und andere Gemüsearten bevorzugt werden. Nach Allgöwer (2005) fressen Kaninchen Kräuter und Süßgräser, wobei Süßgräser bis zu 2/5 der Nahrung ausmachen können. Ergänzt wird mit Blättern von Bäumen/Sträuchern und allem, was das Habitat noch hergibt. Genutzt werden nach Möglichkeit unter anderem Kulturpflanzen wie verschiedene Kohlsorten, Rüben, Getreide, Klee, Kartoffeln und auch Weinreben.

In Schottland beobachtete Kaninchen fraßen hauptsächlich Gräser (Hulbert et al. 1996). In Portugal beobachteten Marwues und Matthias (2001) zwei Kolonien. Die erste Population in den Sanddünen fraß zu 53 % Gräser, davon 40 % gewöhnliches Knäuelgras (Dactylis glomerata), wollige Honiggras (Holcus lanatus) und Gewöhnliche Strandhafer (Ammophila arenaria). Die Population im Buschland fraß 38 % Gräser und 48 % zweikeimblättrige Pflanzen, davon vor allem Salbeiblättrige Zistrose (Cistus salviifolius), Krause Zistrose (Cistus crispus) und Ulex parviflorus (Stechginster).

Wildkaninchen sind bei der Nahrungsaufnahme sehr wählerisch, wenn ihnen genügend Auswahl zur Verfügung steht (Boback 1970). Bevorzugt werden eiweißreiche Pflanzen (Allgöwer 2005; Turcek 1959) sowie die zarten Blattspitzen, verholzte Pflanzenteile werden größtenteils gemieden (Bucher 1994, Schlolaut 2003). Nur Überbeweidung, Trockenheit und Vegetationsruhe (Winter) veranlassen die Kaninchen dazu trockene, abgestorbene Grünpflanzen, Wurzeln oder verholzte Triebe zu fressen.

Abbildung 1: Fraßschäden. Fraßschäden an einem Feld durch wilde Kaninchen. Größtenteils finden sich Teile der Pflanzen auf dem Boden (rechts), was darauf hindeutet dass die Kaninchen an die Früchte der Süßgräser gelangen wollten.

Die Fortpflanzungs- und Wachstumsphase ist die Zeit des höchsten Nährstoffbedarfs. Zu dieser Zeit basiert ihre Ernährung im wesentlichen auf leichtverdaulichen, eiweißreichen Blättern und Triebspitzen. Zum Winter hin wird die Aufnahme von stärke- und zuckerreicher Kost wichtig.
Wildkaninchen nutzen das im Spätsommer und Herbst zur Verfügung stehende Früchte in Form von Obst und Samenständen von Gräsern und kultiviertem Getreide, um ihre Energiereserven für den Winter zu füllen. Diese Energiereserven dienen nicht nur um Nahrungsmangel zu überbrücken, sondern sind auch bei Mangel an Flüssigkeit nötig. Durch ihr Fettdepot müssen die Wildkaninchen im Winter weniger Nahrung aufnehmen, wodurch weniger lebenswichtige Flüssigkeit verstoffwechselt wird.

In grünfutterarmen Zeiten wie im Winter und frühen Frühjahr stehen Wintergetreide, Moose, Knospen und Triebe sowie Rinde von verschiedenem Gehölz zur Verfügung. Gefressen werden dabei gerne Laubgehölz wie Akazie, Weißbuche, Esche, Roteiche, an Nadelgehölz Fichte, Tanne und Kiefer und an Obstgehölz Quitte, Mispel, Apfel, Birne sowie Kirsche. Holunder wird nicht gefressen (Lincke 1943; Turcek 1959). Nach Allgöwer (2005) wird im Winter bei einem Mangel an Grünfutter dieses durch den Verzehr von Knospen, Triebspitzen, Rinden und Wurzel ersetzt.

Homolka (1985) beobachtete Kaninchen in der Tschechischen Repulik, welche im Sommer ca. 50 % Gräser fraßen, im Winter 18 – 41 %. Zweikeimblättrige Pflanzen waren im Sommer bis zu 42 % teil des Speiseplans, im Winter nur etwa 3 %. Gehölz machte im Winter bis zu 45 % aus, in der warmen Jahreszeit nur 1 – 6 %. Wurzeln und Knollen wurden im Winter zu ca. 4 % gefressen. In Australien nahmen von Robley et al. (2001) beobachtete Kaninchen im Sommer zu 30 – 35 % Wurzeln auf, dazu vor allem Zweige und Blätter von Stauden. Im Winter waren Gräser die Hauptkomponente. In Ungarn beobachtete Katona et al. (2004) eine Aufnahme von 83 % Gräser im Frühjahr, 25 % im Sommer und 49 % im Winter. Stauden machten einen Anteil von 46 % im Winter und nur 9 % im Sommer aus. Sämereien wurden nur im Winter zu 1 % gefressen.
In Mangelzeiten sind Kaninchen dank ihrer Verdauung und der darin enthaltenen Bakterien zeitweise in der Lage, durch Fermentation von Cellulose zusätzliche Nährstoffe aus eigentlich nährstoffarmen Futter zu gewinnen. Das Ergebnis ist der Blinddarmkot, ein nährstoffreicher Brei. Die Bakterien im Blinddarm arbeiten allerdings nur, wenn genügend Flüssigkeit vorhanden ist. Wird diese Flüssigkeit nicht aufgenommen, stellt der Körper sie durch Abbau von wichtigem Körperfett zur Verfügung.

Die Nahrung der Wildkaninchen hat einen Wasseranteil von 60 – 90 %. Der Nährstoffbedarf kann daher nur durch die Aufnahme großer Futtermengen gedeckt werden. Dies setzt eine kurze Verweildauer der Nahrung im Kaninchenmagen voraus. Durchschnittlich werden nach Grün (1989) ca. 40 Mahlzeiten aufgenommen werden.

Die Nahrungsaufnahme erfolgt hauptsächlich Nachts, wobei nach Selzer (2000) von der Abenddämmerung bis Sonnenaufgang 2 – 6 Stunden mit Fressen verbracht wird. In der Dämmerung bleiben die Kaninchen im Bereich des Baues, erst in der Dunkelheit begeben sie sich zu den weiter entfernten Äsungsflächen, wo sie gemeinsam in Gruppen fressen (Leicht 1979).

Der Wasserbedarf wird hauptsächlich durch die Nahrung gedeckt. Zusätzlich werden Pflanzen, die von Regen oder Tau bedeckt sind abgeleckt. Nur in sehr trockenen Zeiten werden Wasserstellen aufgesucht.

Wildkaninchen im Winter


Das Angebot an Futterpflanzen ist im Winter in Europa weniger reichhaltig als im Frühjahr. Allerdings sind die Winter vergleichsweise mild, so dass Zeiten, in denen Böden gefroren und Schnee sehr hoch liegt selten lange anhalten. Da Pflanzen ab einer Temperatur von etwa 4 – 5°C wachsen, finden die Kaninchen in ihren bevorzugten Lebensräumen normalerweise auch im Winter ausreichend Futter. Zudem verfügen einige Pflanzen über Mechanismen, um sich vor dem Einfrieren zu schützen, wodurch sie den Kaninchen eine Nahrungsquelle für frisches Grün bieten. Ergänzt wir der Speiseplan mit Gehölzen. Verzehrt werden gerne Knospen, Triebspitzen und Rinden, sowie Wurzeln, welche gezielt ausgegraben werden (Turcek 1959; Rödel 2005).

Rödel (2005) vermutet nicht nur die nachlassende Quantität des Futters als Grund der Veränderung der Nahrungsaufnahme im Wintern, sondern auch die Qualität. Er beobachtete, dass die Kaninchen in Winter häufig scharren, auch wenn kein Schnee liegt. Sie suchen nach Wurzeln und Trieben, welche auch im Winter im Vergleich zu der weit über der Erde liegenden Vegetation einen hohen Gehalt an Stickstoff und lebensnotwendigen Aminosäuren liefern. Auch bodennahe Triebe haben eine höhere Qualität, welche im Winter bevorzugt gefressen werden, wie der hohe Sandgehalt im Kot zeigt (Rödel 2005).

Im Winter sind die Kaninchen überwiegend mit der Nahrungssuche beschäftigt (Holst 1998, 2001). Sie steigern die Nahrungssuche um über 30 % im Spätwinter im Vergleich zum Frühwinter (Rödel 2005). Sie bewegen sich kaum und verbringen ihre aktive Zeit fast ausschließlich mit fressen. Kritische Nahrungssituationen werden gegebenenfalls mit einer Stoffwechselsenkung um bis zu 30 % kompensiert (Holst 1998).
Während Wildkaninchen selten verhungern, treten Darmerkrankungen (insbesondere Darmkokzidiose) besonders in harten Wintern gehäuft auf. In Untersuchungen von Holst (2004) waren im Winter in 90 % der Todesfällen von adulten Kaninchen Darmerkrankungen die Ursache.

Abbildung 2: Scharrstellen. Kaninchen suchen im Winter unter dem Schnee nach frischem Grün (links). Abgetrocknetes, obwohl einfacher zu erreichen, wird hingegen nicht gerne angenommen.

Abbildung 3: Eicheln. Unter den Bäumen suchen die wilden Kaninchen gerne nach Eicheln.

Quellen


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Boback, A. W. (2004): Das Wildkaninchen: (Oryctolagus cuniculus [Linné, 1758]). 2., unveränd. Aufl. Westarp-Wiss.-Verl.-Ges. ISBN 3-89432-791-X.

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